Die symbolische Weisheitssprache



   "Die an die materielle Welt gebundene Denkkraft der heutigen Menschheit befasst sich ausschließlich mit dem buchstäblichen Sinn jener Ereignisse, die aus allen religiösen Überlieferungen stammen und bemüht sich vorzugsweise damit nachzuforschen, inwieweit die mitgeteilten Geheimnisse wirklich in alten Zeiten vorgekommen sind oder auch, ob dieselben teilweise der Phantasie älterer Völker zugeschrieben werden müssen. Ist dann einmal wissenschaftlich festgestellt worden, dass es sich um reale Tatsachen handelt, dann bleibt die Denkkraft bei denselben stehen und sucht sich die Bilder, die sich mit ihnen verbinden, so konkret und materiell wie möglich vorzustellen. Auf diese Weise wird auch die Heilige Schrift aufgefasst, und die Worte und Texte der Bibel (dazu manchmal noch mangelhaft übersetzt) werden ihrem aüßerlichsten, buchstäblichen Sinn nach erklärt und zitiert. Wenn aber in der Bibel die Rede ist von göttlichen Dingen sowohl wie von menschlichen, so sind dieselben doch nur in der Sprache der irdischen Menschen aufgezeichnet worden, und jede menschliche Sprache hat auf die materielle Welt Bezug und ist unfähig, geistige und göttliche Dinge richtig zu bezeichnen. Eine rein buchstäbliche und wörtliche Erklärung des Inhaltes der Heiligen Schrift kann deshalb nur auf die äußeren Tatsachen innerhalb der materiellen Welt hinweisen.

   Wenn der Mensch aber den buchstäblichen Sinn der Worte der Heiligen Schrift als den einzig wahren betrachtet, so pflegt er die gleiche materialistische Denkweise wie jene, die er in bezug auf sich selbst anwendet, worin er sich mit seinem physischen Körper identifiziert und die materielle Welt als die einzig reale Welt ansieht. Die Bibel wäre aber nicht die Heilige Schrift, das Wort Gottes, zu nennen, wenn sie nur eine Chronik alter Zeiten wäre, oder wenn sie nur die äußere Geschichte des israelistischen Volkes enthalten würde. Von der Heiligen Schrift aber muß gesagt werden, dass sie das bis in die materielle Welt hineinklingende Wort Gottes zu den Menschen darstellt, und zwar in jenen festen Form, die der Welt der festbegrenzten Formen und des größten Widerstandes entspricht. Diese feste Form besteht in der buchstäblichen Bedeutung der konkreten, äußeren Ereignisse, von der Schöpfung des Himmels und der Erde an bis auf die Vollendung der Erdentage.

   Über jener festen Form der buchstäblichen Bedeutung, die, wie jede Form der materiellen Welt, tot sein würde ohne das Leben, das, vermittelst der beiden feineren kosmischen Hüllen, mit ersterer verbunden bleibt, steht die symbolische Bedeutung des zur Menschheit klingenden Wortes Gottes. Die Heilige Schrift enthält als solche einen symbolischen Sinn, und der Inhalt derselben besteht aus symbolischen Vorgängen, die sich zwar mit den äußeren, geschichtlichen Ereignissen decken, doch diese letzteren an Kraft, Bedeutung und Wirkung weit überragen.

   Die Symbolik, die hinter und über jenen äußeren Ereignissen steht und dieselben wie eine innere belebende Strömung durchflutet, bezieht sich nicht nur auf die Erde, sondern zugleich auf den ganzen Kosmos. Denn wenn das Wort Gottes auf Erden hörbar ist, hat dasselbe schon den Kosmos durchdrungen, wo der Klang desselben in jener feineren Form, die den feineren kosmischen Hüllen entspricht, wahrnehmbar wurde."
(Das große Zeichen, Intermediarius = Joh. van der Meulen, S. 69)


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