Sichtung der verschiedenen Offenbarungen

Nimmt man das mystische Schrifttum der letzten 150 Jahre, so findet man darunter zwei unterschiedliche Gruppen. Zum einen die Dokumente von christlich Initiierten, wie etwa eines Rudolf Steiner oder einer, leider recht unbekannten, Johanna van der Meulen (Intermediarius), deren Niederschriften auf eigener geistiger Schau bzw. eigenem Erleben beruhen.

Unter einem Initiierten (Eingeweihten) wird in der Regel jemand verstanden, der sich losgelöst von seinem irdischen Körper in der geistigen Welt befunden hat und über seine Erlebnisse Auskunft gibt. Manche können diese Trennung vom physischen Körper willentlich herbeiführen, andere wiederum haben spontane Austrittserlebnisse.

Zum anderen die Werke der christlichen Schreib- und Wortmittler, wie z. B. die von Jakob Lorber, Anita Wolf, Berta Dudde und Gabriele Wittek, deren Schriften durch die Einsprache des göttlichen Geistes im Inneren des Mittlers zustande kamen. In dieselbe Zeit fällt auch die Entstehung der theosophischen Geheimlehre von H. P. Blavatsky, der Rosenkreuzerströmung nach Max Heindel sowie diverser Yogaschriften, z. B. von Vivekananda, Yogananda usw., die zwar weniger zu den christlichen zu zählen sind, aber in dieser Schrift dennoch berücksichtigt und verarbeitet wurden. Allen diesen Werken ist gemeinsam, daß diese erst die Anfänge eines erneuten Herantastens an die göttlichen Wahrheiten enthalten. (Wenn auch die Schriften Jakob Lorbers daraus deutlich hervorragen.) Während die Werke der Initiierten von beträchtlicher intellektueller Komplexität sind, womit deutlich wird, daß es nicht leicht ist, geistige Sachverhalte in unsere menschliche Denkweise quasi zu übersetzen, ist das Schrifttum der Mittler aus dem inneren Wort viel einfacher gehalten und viel verständlicher. Allerdings um den Preis einer Vereinfachung von Zusammenhängen.

Meist wird jedoch ein Offenbarungswerk durch einen anderen Mittler ergänzt und vervollständigt.

Bedauerlicherweise haben sich um jede einzelne Offenbarung Gruppen gebildet, die das jeweils von ihnen verehrte Werk für das einzig echte halten, die anderen aber als unecht, primitiv oder veraltet abtun und somit leider in die Fußstapfen kirchlicher Intoleranz getreten sind. Dabei wird in den meisten Werken deren Relativität hervorgehoben. So wird zum Beispiel in den Schriften des Universellen Lebens betont, man solle das Gesagte sinngemäß und keineswegs wortwörtlich verstehen (Der persönlich und der unpersönliche Gott, Vorwort), womit die meisten Anhänger offenbar überfordert sind. Weiter heißt es, die reinen Geistwelten hätten eine siebendimensionale Struktur, was zwangsläufig zur Folge haben muß, daß die Schilderung des Aufbaus derselben nur annähernd in unserer Sprache erfolgen kann.

Im Großen Evangelium Johannis nach J. Lorber wird betont, es enthalte nur den seelisch-geistigen Sinn, nicht aber den rein himmlischen, wofür die wenigsten Menschen derzeit reif seien. (Zudem wird im 11. Band dieses Evangeliums bereits auf eine weitere Offenbarung hingewiesen, die die Ereignisse in der geistigen Welt schildern soll.)

Steiner ist einer der wenigen sogenannten Eingeweihten, der sich dem christlichen Standpunkt angenähert hat. Seine geistige Schau befähigte ihn zwar, die Entwicklung des Kosmos einzusehen, Ausgangspunkt und Endziel desselben blieben ihm jedoch verschlossen. Die Schwäche eines solch relativen Standpunktes tritt zutage, sobald er sich an Christus oder die Trinität herantastet. Hierüber verdanken wir den Mittlern aus dem inneren Wort (z. B. Lorber) wesentlich bessere Aussagen.

Mehreren dieser Schreibmittler ist gemeinsam, daß sie von einer sog. Urschöpfung berichten. D. h. es gab (und gibt) eine von Gott geschaffene Lichtwelt. In dieser war der Gegensatz von Gut und Böse noch nicht vorhanden. Die geschaffenen Geistwesen sollten darin zu Kindern Gottes heranreifen, um die Schöpfung immer eigenständiger nach den göttlichen Gesetzmäßigkeiten selbst zu gestalten. Im Verlauf dieses Reifeprozesses lehnte sich ein Teil (ca. 1/7) der Geistwesen gegen den Schöpfer auf, fiel aus der Lichtwelt ab und es begann der kosmischen Verdichtungsvorgang, bis hin zur heutigen Erde. Der materielle Kosmos mit unserer heutigen Erde wurde zeitlich keineswegs unmittelbar im Anschluß an den Abfall aus den reinen Himmelswelten geschaffen, sondern dazwischen liegen drei große zyklische Perioden der Verdichtung.

Während nun die Mittler aus dem inneren Wort kaum detaillierte Aufschlüsse über den Verdichtungsvorgang geben, liegt bei Rudolf Steiner (und auch z. B. der Theosophie) das Hauptgewicht auf der ausführlichen Beschreibung, in denen sich die Verdichtung stufenweise vollzog.

Dagegen weiß Steiner über die ursprünglichen Himmelswelten vor dem Fall nichts zu sagen. (Die Theosophie und auch der bereits erwähnte Max Heindel machen lediglich Andeutungen darüber, darin gehen sie sogar über die Anthroposophie Steiners hinaus.)

Ausdrücklich sagt Steiner, alles Fragen müsse bei den von ihm geschilderten Anfangszuständen des Kosmos (dem sog. Saturnstadium) zu Ende sein. (Die Geheimwissenschaft im Umriß, S. 128) Auch wenn R. Steiner in einem seiner Vorträge (14.4.1909) von den Seraphim, Cherubim und Throne sprach: „Die nehmen nun die Pläne eines neuen Weltsystems entgegen von der göttlichen Dreieinigkeit, der sie entspringen.“ So kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm der zuvorige Fall Luzifers (lange vor dem sog. Mondenstadium) verborgen blieb, der diese Pläne notwendig gemacht hatte, um einen Rückholraum für die gefallenen Geister zu schaffen. Oder er meint, auch die höchsten Eingeweihten könnten nicht hinter den Endzustand (das sog. Vulkanstadium) blicken. In dieser Hinsicht bleibt er auf der Stufe seiner theosophischen Vorgänger stehen, die der Eingeweihte Koot Hoomi folgendermaßen relativiert: "Kein Adept ist jemals über den Schleier des kosmischen Urstoffes hinausgedrungen. Die höchste, vollkommenste Schau ist auf das Universum von Form und Stoff beschränkt." ( Die Mahatmabriefe, Bd. 1, S. 184)

Da das Universum als ein Produkt dualistischer Kräfte, d. h. aus dem Widerstreit von Gut und Böse, entsteht und vergeht in der Zeit, so kann der Sinn dieser Entwicklung nicht aus dieser Relativität gewonnen werden, sondern nur aus einem Fragen nach dem Davor und Danach. Da Steiners geistige Schau dorthin nicht gereicht hat, versuchte er dieser Frage auszuweichen, bzw. die Frage als solche hinwegzudiskutieren. Aus einer eigenständigen Entwicklung (und einer Strömung der Rosenkreuzer) herkommend, hat er sich erst im Verlauf seines Weges christlichen Positionen angenähert. Daher ist der Verdacht begründet, daß er sich selbst mit Erkenntnisschranken umgeben hat, die er auch später nicht mehr abstreifen konnte. Dasselbe gilt für die meisten östlichen Eingeweihten. (Siehe dazu: A. Schult, Das Johannes-Evangelium als Offenbarung des kosmischen Christus, S. 502)

Es fiele wesentlich leichter, die Schilderung der Wortmittler als unzuverlässig abzutun (wie Anhänger von Initiierten und insbesondere Anthroposophen das gerne tun), wenn es nicht auch eine christliche Eingeweihte gegeben hätte (besagte Johanna van der Meulen, Intermediarius), die ebenfalls über die kosmische Entwicklung hinausgeschaut, die reinen, unvergänglichen Geistwelten erlebt und die Entwicklung des Kosmos von einem überkosmischen Standpunkt aus geschildert hat. In seiner "Theosophie" schreibt Steiner allerdings etwas von den, bei ihm so benannten, "Lebenskernen" (S. 100 u. 112), die aus noch höheren Ebenen stammten, als die von ihm beschriebenen. Leider kann weder er noch etwa Max Heindel, ein Zeitgenosse Rudolf Steiners, der ebenfalls diese höheren Ebenen erwähnt, nähere Angaben darüber machen, so daß es schon etwas verwundert, wie sehr solche Schriften heute von ihren Anhängern verabsolutiert werden. Mehr noch, Steiners Eingeständnis dieser Lebenskerne aus höheren Welten, die in die drei von ihm beschriebenen versetzt werden, "um dort ihre Aufgaben zu vollbringen" (Theosophie, S. 112), gegenübergestellt seiner Aussage, es sei sinnlos, nach den Zuständen vor dem Saturnstadium zu fragen, also nach dem Ursprung dieser Lebenskerne, überführt ihn eindeutig der Unlogik bzw. einer Rationalisierungsstrategie seinem begrenzten Wahrnehmungsvermögen gegenüber.

Hinter dem Abgrenzungsbedürfnis der verschiedenen Gruppierungen scheint mir insofern mehr ein psychologisches Bedürfnis zu stecken, ähnlich einem Menschen, der einen Zaun um seinen Grund und Boden baut, denn ein wirklich vom Geiste her begründetes Differenzieren. Diese Abgrenzungen sollen hier überschritten und es soll über die verschiedenen Zäune hinausgeschaut werden, jedoch bei einer gleichzeitigen hierarchischen Zuordnung zu einem heute noch nicht aus einem Guß bestehenden Ganzen, in der Hoffnung, damit einen Anstoß geben zu können, die Anfeindungen unter den verschiedenen christlichen Gruppen, bei denen der innere Weg heute gelehrt wird, zu erübrigen. Im Lichtboten Nr. 70 des Lichtzentrums von Bethanien (Sigriswil, Schweiz) drückt Jesus durch die Mittlerin Frieda Maria Lämmle denselben Wunsch folgendermaßen aus:

"...Mein Leib (d. h. die wahrhaft auf ihn ausgerichteten geistigen Gemeinschaften, d. Verf.) war zerstückelt. Jetzt müssen sich die Glieder zusammenfinden, die wahren, die echten müssen zusammenarbeiten, denn ein Glied braucht das andere, und so kann die Einheit geschaffen werden, und ich kann zu meinem Leibe kommen, der in der Glorie auf mich wartet." (S. 20) (Leider ist das heute beim Nachfolger dieser Mittlerin nicht mehr gültig!) Bei Lorber finden wir dazu das Wort: "Wer mich anruft in seinem Herzen (nach meiner Überzeugung bezieht sich das auf alle Gruppen in denen ein innerer Weg gelehrt wird, der Vf.), der wird nicht verlorengehen, wenn ihn nicht nur die Römlinge, sondern auch alle anderen Sekten zugleich für alle Ewigkeiten auf das allererbittertste verdammt hätten; denn weltliche Sekteneifersucht ist noch nie ein Urteil der ewigen Liebe in Gott gewesen!" (Himmelsgaben, Bd. 3, S. 164)

Es steht indes leider zu befürchten, dass die in dieser Schrift theoretisch vorweggenommene Einheit erst unter dem Druck äußerer Ereignisse zu Stande kommt. Die Mittlerin Bertha Dudde äußert sich darüber folgendermaßen: "Die verschiedenen Geistesrichtungen werden durch ihre Abweichungen voneinander auch immer im stillen Kampf miteinander liegen insofern, als eine jede den Anspruch auf Wahrheit zu machen versucht und die andere daher nicht gelten lassen will. Und dennoch werden sie in der letzten Zeit zusammengehen, sofern sie nur die Lehre Jesu Christ als Grundprinzip haben und seinen Namen bekennen, dann treten alle sonstigen Unterschiede in den Hintergrund, denn alles geistige Streben wird bekämpft werden und jeder geistig-Strebende daher Anschluß suchen am Nächsten, der gleichgesinnt ist. Und also wird sich dann aus jeder Geistesrichtung die Lehre Christi herausschälen und ihre Anhänger werden zur Gemeinde Gottes zu zählen sein, zu Seiner Kirche, die Er Selbst gegründet hat... Sie werden durch ihren Glauben an Jesus Christus dieser Kirche angehören, wenngleich sie verschiedene Geistesrichtungen haben. Eine jede wird abstoßen an äußeren Handlungen und Gebräuchen und nur die innere Bindung mit Jesus Christus anstreben, eine jede wird die Liebe lehren, Liebe pflegen und Liebe üben... Dann wird die Kirche Christi nur klein sein (was sie im eigentlichen immer war und ist, d. Verf.), und Anhänger jeder Geistesrichtung werden sich in ihr bergen, und jeder Streit wird begraben sein, wie auch alle Äußerlichkeiten und zeremoniellen Handlungen wegfallen werden angesichts der großen Verfolgung, die alle Anhänger zu fürchten haben." (B. D. Nr. 3947)

Zum nächsten Kapitel:

Die Lichtmauer als Grenze zwischen dem gefallenen Kosmos und der überkosmischen Himmelswelt

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