17. Betrachtung
Vom Leben und Wandel im Geist, und wie man in Gott Ruhe finde.
Gott ist ein stilles, sanftes Wesen, und wenn auch unser Geist einmal sanft
und stille geworden ist, so ist er mit Gott erfüllt und in ihm vergnügt.
Wenn die niederen Kräfte unserer Seele in Bewegung sind, so befinden
wir uns immer in einer Art von Unruhe, die in etwas den Geist turbiert (beunruhigt,
umtreibt, verwirrt); wenn jedoch die Seele alle Flügel der Bewegung
sinken lässt, dann ist der Geist leidend, jungfräulich für
Gott offen, zieht das Lustleben an und faßt es in sich auf. Dieser
Zustand ist billig der leidende (passive) zu nennen, der ein Gott wohlgefälliger,
notwendiger, geschäftiger Müßiggang ist. In einer Viertelstunde
wird aber in solchem Zustand mehr getan, als alle Kreatur in Ewigkeit tun
und wirken kann. – Aber wer ist hiezu tüchtig, und wer kann das erfahren?
Ohne eine tägliche und anhaltende Unruhe, die aus dem Verlangen nach
der höchsten Vollkommenheitsruhe entspringt, wird wohl niemand dazu
kommen. Je mehr wir erkennen und erfahren, dass in dem Zentrum der Gottmenschheit
Allgenugsamkeit und Ruhe ist, desto mehr finden wir in der Mannigfaltigkeit
der Dinge, die weiter vom Zentrum entfernt sind, Missvergnügen und
werden je mehr und mehr behutsam, uns von unserem Ruhepunkt zu entfernen.
Aus Hesek. 1 ist klar zu ersehen, dass die Wirkungen Gottes und die Wirkungen
der Seele als verschieden zu betrachten sind; doch darf man bei einer dem
Herrn anhangenden, jungfräulichen Seele die Wirkungen der Kräfte
des Seelengeistes und die Wirkungen der allerreinsten Lichts- und Lebenskräfte
nicht von einander trennen oder die einen ohne die anderen betrachten. Oft
ist die Seele in einer starken Bewegung wirkend, so dass das Glaubensbegehren
in einem heftigen, dringenden Treiben das ganze Lebensrad in Umlauf bringt:
das ist das Dürsten des Geistes der Ewigkeit. Dieser setzt alle Lebenswurzeln
in Bewegung und macht sie nach dem Geist der Herrlichkeit und dessen Wesen
verlangend. Wird nun dieser Geist der Seele von innen heraus und von außen
hinein einergossen, so fängt das Wirken des sanften Lichtlebens des
Jehova-Jesus an; dann verhält sich die Seele als Geist leidend, und
alle ihre Kräfte sind mit Gott erfüllt und ruhen in Gott und mit
Gott; es geht Geist mit Geist um. Ist nun der Umlauf des Lebens mit dem Herrn,
dem Geist erfüllt, und der Seelengeist also mit ihm vereinigt, so ist
das ein glückseliger Zustand, das reinste jungfräuliche Zusammenfließen,
da die Seele den Herrn erkennt und von ihm erkannt wird.(Hos 2,21.22). Könnten
wir jetzt die Seele sehen, so würden wir sie in der schönsten Jaspis-,
Sardis- und Saphirgestalt, weiß und rot im göttlichen Bilde erblicken.
In diesem Zustand wird aus der reinen Glaubensbegierde, die vom Geist der
Ewigkeit, dem Wurzel- und Lebensgrund aller Dinge, entzündet ist und
in magnetischer Kraft voll Feuerlebens gerade aufsteigt, ein neuer Lebensumlauf
gebildet. Das ganze Seelenrad wird mit Licht und Leben erfüllt, das
als leidendes Feuer die Wirkungen Gottes in heiligster Stille des Geistes
erfasst und empfängt. Dies ist das, was Gott gewirkt und geboren hat.
Ohne diese Gottes und Geistesgeburt kann der Mensch nicht selig, nicht ruhig
und in Zeit und Ewigkeit nicht wahrhaft vergnügt sein.
Die Zentralkräfte Gotte wollen sich in Natur und Kreatur immer geburtsmäßig
offenbaren. Davor graut aber der menschlichen Natur in widrigen, quälenden
Empfindungen. Dies rührt daher, dass die Natur und Kreatur nicht mit
dem Willen Gottes und ihres Ursprungs einig ist; sie kann sich aber in der
Wurzel in Zeit und Ewigkeit nicht von ihm trennen und losreißen. Wer
aber in diesen widrigen Empfindungen steht, und doch will, was Gott will,
und unter solchen Geburtsschmerzen aushält, der wird auch die oben
besprochenen, seligen Empfindungen erfahren dürfen, freilich abwechslungsweise
bald diese bald jene, bis er das Ziel der höchsten Vollkommenheit erreicht
haben wird. Wer einmal gewohnt ist, sich mit allen Kräften in Gott
zu sammeln, kann die Geburtsschmerzen schnell durchmachen und über
dem aus Gott Geborenen lang andauernde und vollkommene Freude haben. Die
Abweichungen und Auskehrungen von Gott werden in diesem Zustand immer seltener
und in ihrer Art immer kleiner; der Geist wird fester und die Seele treuer
und unverfälschter.
Jetzt versteht die Seele den Ausspruch Assaphs: „Herr, wenn ich nur dich
habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“ (Ps. 73,25). Alle Dinge,
die in der Zeit ihr Wesen haben, wirken sich aus in die Ewigkeit, können,
können aber ohne Geburtswehen nicht in die Einheit der Ruhe gelangen.
Darum betrachtet eine solche Seele alles, was ihr Widriges geschehen und
begegnen kann, in Ansehung der unvollkommenen Natur und Kreatur als eine
Notwendigkeit, da sie sie ohne diese nicht in die Einheitsruhe ersinken würde.
Wie leicht fällt es ihr in diesem Blick, zu dulden, zu verleugnen und
abzulegen, und wie erscheint ihr da alles Eitle in seinem wahren vergänglichen
Werte!
Wer außer der Einheits- und Lebensquelle sein Dasein führen will,
hat ein qualvolles Angstleben. Alles ersenkte sich darum in uns in das Leben
Gottes, so wird alles in die Ordnung und in die Freiheit kommen! Nichts
rege und bewege sich in uns ohne durch den Geist Gottes; dann sind wir der
Ruhe und Seligkeit nahe!
Niemand frage: Wer kann in diesen glückseligen Zustand kommen, und
wie ist es auch mir möglich? Alle können, alle sollen, ja alle
müssen noch dahin gelangen. Freilich können die Geburtsschmerzen
bei dem einen größer sein als bei dem andern; aber eben bei letzterem
können sie darum anhaltender sein; unser weites entfernt sein von Gott
kann sie groß und unsre Vernunft anhaltender machen. Alle Dinge aber
sind dem Glauben, der mit göttlichen Kräften wirkt, möglich.
– Je mehr wir im Geiste leben, je mehr schlagen Sinnenvergnügungen bei
uns ab; und je geringwertiger uns diese Dinge erscheinen, desto leichter
haben wir sie zu verleugnen.
Wer eine lebendige, geburtsmäßige Erkenntnis in sich trägt,
sieht alles in Geburtsschmerzen liegen und arbeiten. Obgleich er nun im
Geist in Gott und mit Gott Ruhe und Seligkeit hat, kann er doch gegen die
blinden kranken Menschen, die sich ihre Qual und Schmerzen immer vermehren,
nicht gleichgültig sein, sondern er muß trauern und Leid tragen
über alle die unglücklichen Seelen. Alles Leben außer Gott
ist ein sich selbst quälendes, immer sterbendes Leben. Je bälder
einer den Dinge, die außer Gott sind, innerlich stirbt, je bälder
wird er in Gott zum Leben kommen; je länger er sich aber weigert, diesem
und jenem in der Vielheit und Mannigfaltigkeit der Dinge abzusterben, je
später wird er zu dem völligen Leben in der Einheit der Gottheit
kommen.
Mel. Wachet auf ruf uns die Stimme.
Quillt mir der Lebensstrom von innen, so schweigen alle meine Sinnen, mei
Geist sinkt in denselben ein. Hier wird er an- und aufgenommen; durch dieses
Wasser kann er kommen zur Jesusähnlichkeit allein. Dies ist’s was ich
begehr; nach dem verlangt mich sehr. O mein Leben, Ich bitte dich, erhöre
mich, eröffne dich mir innerlich!
Laß mich in meinem heißen Trachten, o Strom des Lebens, nicht
verschmachten; mein Leben sei dein Wunderthron! Sei du die Seele meiner
Seelen, und laß dein Leben mich durchquellen, erhöhter Gott-
und Menschensohn! Führ Lebensfeuer ein iun Seele Geist und Bein, Geistlichs
Leben der Gotteskraft, der Ursprungsmacht! Du bist die Quell, nach der ich
tracht.
Ach halte mich in dir verborgen, so endet sich mein ängstlich Sorgen!
Auf Erden ist mir seelenbang. Laß auf mich sehn dein Aug hienieden,
verbirg mich ganz in deinem Frieden, sei du in allem Tun mein Drang! Was
ich denk red und tu, gescheh in Frieden und RuhDir zur Ehre und mir zum Heil!
Sei du mein Teil, gib, dass ich nach dem Kleinod eil!
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